YOKOO TADANORI KOLLABORATION II #JAPANOLOGIE #GOETHEUNI

In diesem Artikel geht es um eine weitere Kollaboration Yokoo Tadanoris, bzw. um Kollaborationen und zwar mit Kara Jûrô (唐十郎) und Ôshima Nagisa (大島渚). Erneut handelt es sich um eine Fragestellung die uns von unserer Professorin vorgegeben wurde.

Wie lässt sich die künstlerische Verbindung Yokoo / KARA auf zeitgeschichtlicher Basis beschreiben?

Yokoo Tadanori kam 1960 nach Tokyo und arbeitete dort im Nippon Design Center, bevor er sich entschied nicht mehr als Auftragnehmer zu arbeiten. Er fängt an eigene Projekte zu verwirklichen.1 Kara Jûrô graduierte 1963 an der Meiji University in Drama und Theater Kunst. Kurz darauf gründete er seine eigene Theatergruppe mit dem Namen Jôkyô Gekijo (Situationstheater). Damit wollte er nicht dem damals modernen Theater folgen sondern seine eigenen, fantasievollen Geschichten, in der Grundform des Kabuki Theaters, erzählen.2 

Beide Künstler treffen sich an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie mit dem etablierten Standard nicht zufrieden sind und die Chance sehen diesen Standard weiterzuentwickeln. Yokoo schafft dies, in dem er Filmplakate für einige Stücke von Kara Jûrô anfertigt, und somit die Chance zur Selbstverwirklichung erhält. Kara hingegen lässt das moderne Theater hinter sich und macht seine Performances einem breiteren Publikum zugänglich. Die außergewöhnlichen Poster, die Yokoo für ihn anfertigt, tragen dazu bei, dass seine Stücke einen hohen Bekanntheitsgrad erlangen. 

ZUSAMMEN ERFOLGREICH

Somit beginnt ein Aufwärtstrend für beide Künstler. Kara Jûrô wird für seine Theaterstücke ausgezeichnet und bekommt 1969 die Kishida Drama Auszeichnung für Shojo kamen (The Virgin’s Mask)3 und 1983 den Akutagawa Preis für sein Werk Sagawa-kun kara no tegami (Letter from Sagawa)4 während Yokoo Tadanori, durch die Arbeiten für Kara und noch weitere Werke so bekannt wird, dass selbst Mishima Yukio auf ihn aufmerksam wird, mit ihm zusammenarbeit und dies sogar bis kurz vor seinem Tod.5

Bei dieser Betrachtungsweise sollte man allerdings nicht außer acht lassen, dass dies alles in einem Japan geschah welches sich gerade erst wieder als Industriemacht etablierte, nachdem es eine Niederlage im zweiten Weltkrieg hinnehmen musste. Dazu gab es, aufgrund geopolitischer und innenpolitischen Entscheidungen, Studentenproteste an denen sich 72 Universitäten beteiligten. In dieser unbeständigen Zeit schaffen es beide Künstler, in ihrer jeweiligen Kulturszene, Fuß zu fassen, sich zu etablieren und das bis heute.6 

Wie wäre die Inszenierung Yokoos durch den Regisseur Ôshima im „Dieb“ zu charakterisieren?

Die Rolle des Diebes ist sehr gegensätzlich zum wahren Yokoo Tadanori angelegt. Der Dieb ist Student und stammt aus einer wohlhabenden Familie7 während Yokoo aus einer Familie von Kimono Nähern stammt und direkt nach der High School in den Beruf eingestiegen ist, ohne eine Universität besucht zu haben.8 Allerdings lässt Kara den Dieb, und somit auch Yokoo, für etwas einstehen bzw. thematisiert mit dieser Rolle ein Tabuthema, nämlich Sexualität und die Befriedigung, in diesem Fall den Orgasmus der Frau, durch selbigen.

Mit Yokoos Rolle zeigt er auf, dass Sex nicht immer, oder nur unter gewissen Umständen, harmonisch verläuft oder sogar nur für den Mann befriedigend. Auch das Cover der DVD Veröffentlichung (Bild 2) des Films, steht in einem starken Kontrast zum ursprünglichen Plakat des Films (Bild 3). Auf dem Cover scheinen der Dieb und Umeko, die weibliche Protagonistin, gerade den Geschlechtsakt vollzogen zu haben. Allerdings blickt sie fragend zu ihm herüber. Der Dieb scheint auf die unausgesprochene Frage keine Antwort zu kennen und gibt die Frage, tief eingebettet in seinen Blick, weiter und erreicht damit sogar den Zuschauer. 

Weiterhin ist der Dieb, der sich im Englischen Untertitel Birdey Hilltop und im japanischen Original Torio Okanoue nennt, widerspenstig und eigensinnig angelegt, gerade in Bezug auf die Gesprächen mit dem Manager des Buchladens, in dem er Bücher versucht zu stehlen. Im Umgang mit Umeko Suzuki schwankt er zwischen ungeschickt und ruppig bis hin zu gleichgültig, gerade in der Anfangsphase ihres Kennenlernens aber auch wenn sie von zwei Männern, in einer art Club, fast vergewaltigt wird. 

THERAPIE

In der darauf folgenden Therapiesitzung mit Takahashi Tetsu wirkt es so, als würde das, was sie gerade erfahren, ihn bedrücken oder klein machen während Umeko, dem Anschein nach, bestärkt wird und die Ausführungen von Takahashi Tetsu sich für sie wie eine Lösung, für das oben erwähnte Problem, anfühlt. 

Im späteren Verlauf des Films versucht der Dieb die Kontrolle über die Beziehung zu Umeko zu erlangen und legt ein hartnäckiges Verhalten an den Tag. Dennoch Unterwirft er sich ihr, auch wenn seiner Aussage nach, die Unterwürfigkeit eher von ihr ausgeht, da er jetzt Geld hat. Die Frage nach einer eventuellen Identitätskrise bezogen auf das Geschlecht, welche sich nach dem Gespräch mit Takahashi Tetsu herauskristallisiert, wird angedeutet und im Theaterspiel dargestellt. Allerdings ist hier die Frage ob es sich um eine künstlerische Darstellung handelt, das Thema wirklich thematisiert wird oder es einem zu hohen Maß an Interpretation zugrunde liegt. Außerdem macht es die fragmentierte montage schwer zu erkennen wieviel Zeit, zwischen einzelnen Abschnitten oder auch Akten, vergangen ist. 

Ein weiterer Aspekt ist die Frustration die dem Dieb innewohnt, denn bedenkt man die Zeit, zur der dieser Film gedreht wurde, und die Schlussszenen des Films, die die Studentenproteste in Japan Ende der 1960er zeigen, steht diese Frustration genau für jene, die damals an diese Protesten teilgenommen haben. Studenten die ihrer Frustration, in Form von Protesten und Aufständen, hervorgerufen durch Entscheidungen der japanischen Regierung, Luft gemacht haben. 

Was trägt Yokoo zu Karas und Ôshimas Kunst bei?  

Sowohl Kara Jûrô als auch Ôshima Nagisa beginnen ihre Arbeit in einem Japan welches sich gerade wieder unter den drei großen Industriemächten einordnete, nachdem es den Krieg verloren hatte. Dazu kommen die Studentenunruhen die, in den 1960ern, das Land in eine neue Art der Identitätsfindung stürzten. In dieser Zeit hatten beide Künstler kein Interesse daran der mainstream Kunstszene zu folgen und sich dieser zu beugen. Sie begannen ihren eigenen Weg zu verfolgen und widmeten sich der Avantgard. 

Kara Jûrô

Kara Jûrô gründet seine eigene Theatergruppe, mit dem Namen Jōkyō Gekijo (Situationstheater), nachdem er an der Meiji Universität 1963 graduierte.9 Seine Vorstellungen und Theaterstücke sollten für jedermann zugänglich sein und nicht nur für die höher gebildeten Japaner. Die Stücke waren bekannt für eine “varietéartige und fantasievolle Inszenierung”10 und handelten, im Gegensatz zu den üblichen Theatervorstellungen, nicht von Alltagssituationen oder -geschichten.11 Sie fanden, im Kontrast zu den üblichen Theaterstücken, entweder in Kinos, nach den großen Abendvorstellungen, statt oder in einem roten Zelt (akatento) auf dem Gelände des Hanazono-Schreins in Shinjuku.12

Yokoo Tadanori arbeitete zu dieser Zeit beim Nippon Design Center in Tokyo13 und wollte nicht mehr nur Auftragsarbeit erledigen sondern eigene Werk schaffen und sich entfalten. So erschien 1969 das Buch Cover zu Jon Shirubâ (John Silver)(Bild 1), einem Drama von Kara Jûrô. Bald darauf folgten weitere Plakate für die Aufführungen von Kara wie Koshimaki osen – Giri ninjô iroha nihoheto hen („Über Pflicht und Mitgefühl“).14 

Ôshima Nagisa

Bei Ôshima Nagisa verhielt es sich ähnlich, denn auch er war nicht daran interessiert dem Mainstream zu folgen und wollte eigene Werke mit eigener Handschrift und auch Wiedererkennungswert schaffen. Seine Arbeiten behandelten unter anderem Tabuthemen die so in der japanischen öffentlichkeit nicht an- oder ausgesprochen wurden, zu diesen zählten, unter anderem, Sexualität und Gewalt.15 Allerdings bediente er sich nicht nur am Talent Yokoo Tadanoris als Grafik Designer sondern engagierte ihn für die Hauptrolle seines Films 新宿泥棒日記 (Tagebuch eines Diebes aus Shinjuku). In gewisser Weise schloss sich hier wieder ein Kreis zu den Arbeiten die Yokoo Tadanori für Kara Jûrô anfertigte, denn dieser trat in oben erwähnten Film mit seiner eigenen Theatergruppe auf. 

Es lässt sich festhalten, dass Yokoo Tadanori beide Künstler in ihrem Unterfangen unterstützt hat, etwas anderes und neues zu erschaffen und dies, durch seine Arbeit an den jeweiligen Projekten, der breiten Masse Sichtbar zu machen. Im Umkehrschluss haben Kara Jûrô und Ôshima Nagisa Yokoo die Möglichkeit eröffnet sich selbst zu verwirklichen und seine eigene Art von Kunst bzw. Design zu realisieren. Der Eindruck entsteht, dass sich hier ein Konglomerat aus drei verschiedenen Künstler gebildet hat, die, bewusst oder unbewusst, verschiedene kulturelle Aspekte der Japanischen Gesellschaft aus einer Form der Lethargie heraus leiten, nicht nur um ihre Kunst zugänglicher zu gestalten, sondern auch eine Weiterentwicklung einzuleiten.


BILDVERZEICHNIS

Bild 1
Entnommen aus: Art / Anti-Art / Non-Art
Experimentations in the Public Sphere of Postwar Japan 1950-1970
The J. Paul Getty Trust, Communications Department 
Los Angeles, 2007

Bild 2
Cover der DVD „Diary of a Shinjuku Thief“
Veröffentlichung des Originals: ATG (Art Theatre Guild), 1970
Veröffentlichung der DVD: Kinokuniya Company LTD, 2010

Bild 3
Japanisches Poster zu 新宿泥棒日記 (Diary of a Shinjuku Thief) von 1968 
Quelle: https://ecstasy.io/


QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

YOKOO, T., & PERCEVAL, S. (2006). Tadanori Yokoo: [publ. on the occasion of the
exhibition Tadanori Yokoo, presented at the Fondation Cartier pour l’Art Contemporain in Paris, from March 4 to May 28, 2006]. New York, NY, Thames & Hudson.

Tadanori Yokoo: An artist by design, Interview in der Japan Times, 07.08.2011

https://www.japantimes.co.jp/life/2011/08/07/people/an-artist-by-design/#.XuaAUkUzaUl (Abgerufen am 14.06.2020)

Profil von Kara Jûrô auf “Performing Arts Network Japan”

https://performingarts.jp/e/data_art/theater/p-10430.html (Aberufen am 14.06.2020)

1968: a world revolution (12 stories) Zengakuren (1998)

https://web.archive.org/web/20081119052305/http://www.media68.net/eng/japan/japan.htm (Abgerufen am 14.06.2020)

Filmvorführung und Gespräch: TAGEBUCH EINES DIEBES AUS SHINJUKU, 2018

https://www.goethe.de/ins/jp/de/m/kul/sup/zei/kal/arc.cfm?fuseaction=events.detail&event_id=21272280 (Abgerufen 14.06.2020)

HAASCH, G. (2011). Japan – Land und Leute Geographie und Geschichte, Politik und Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Berlin, BWV, Berliner Wiss.-Verl.

polyfilm video – Japanische Meisterregisseure – Ôshima Nagisa (Pressemitteilung, 2009) http://www.polyvideo.at/Pressematerial/Japan/Japanische_Filmreihe_polyvideo.pdf (Abgerufen am 14.06.2020)


1. Tadanori Yokoo: An artist by design, Interview in der Japan Times, 07.08.2011
2. Profil Kara Jûrô auf “Performing Art Network Japan”
3. ebd.
4. ebd.
5. Tadanori Yokoo: An artist by design, Interview in der Japan Times, 07.08.2011
6. 1968: a world revolution (12 Stories) Zengakuren
7. Filmvorführung und Gespräch: TAGEBUCH EINES DIEBES AUS SHINJUKU (GOETHE-INSTITUT TOKYO, 2018)
8. Tadanori Yokoo: An artist by design, Interview in der Japan Times, 07.08.2011
9. Profil Kara Jûrô auf “Performing Art Network Japan”
10. Japan – Land und Leute Geographie und Geschichte, Politik und Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, HAASCH, G. (2011) 
11. ebd.
12. ebd.
13. Tadanori Yokoo: An artist by design, Interview in der Japan Times, 07.08.2011
14. Japan – Land und Leute Geographie und Geschichte, Politik und Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, HAASCH, G. (2011)
15. polyfilm video – Japanische Meisterregisseure – Ôshima Nagisa (Pressemitteilung, 2009)


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Mike

Japanologie und Soziologie Student an der Goethe Uni Frankfurt. Geboren 1979 in eine Zeit die von Star Wars, Pixeln und Zeichentrick Serien geprägt war. Nerd mit Herz und aus Leidenschaft. Cineast, Comic Liebhaber mit einem Faible für Marvel. Videospiel- und Serienjunkie, geformt in einer Zeit die heute als Retro bekannt ist. Führt eine Liebesbeziehung mit Japan, der Kultur und dem Nerdtum. Foodie mit Leib und Seele.

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